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Wer sucht sich das eigentlich aus…

26. August 2019
Kunst

Foto von Claudia Tilk

…in welcher Gegend man die Kindheit verbringt, wo und als Kind welcher Eltern man geboren wird und wer sonst noch so auf das Leben einwirkt?

Das Grödnertal. Holzschnitzkunst, Katholizismus und Berge. Schmelztiegel deutscher und italienischer Kultur. Idyllisch gelegen sind St. Ulrich, das Wohnhaus und auch die Holzwerkstatt; Lebensbedingungen, in die der Künstler BRUNO WALPOTH 1959 hineingeboren wird. Die Kunst des Holzbildhauens liegt in der Familie. Sowohl sein Großvater als auch sein 1933 mit 23 Jahren verstorbener Onkel ‒ ein Freigeist, dem er sich nahe fühlt ‒ bereiten einen fruchtbaren Boden.

Der Geruch von Holz empfängt uns, als wir die Werkstatt betreten. Klarheit, Struktur und Helligkeit bestimmen ebenso den Raum wie die sakralen und säkularen Büsten, die auf den Regalen stehen. Nach seiner Kindheit gefragt, bedient Bruno Walpoth das Klischee des in sich gekehrten Individualisten, was Künstlern ja gern anhaftet. Gut können wir uns vorstellen, wie er verträumt durch die Wälder streift, Holz und Natur auf sich wirken lässt. Mit Abschluss der Mittelschule ist es sein Lehrer, Befürworter und Entdecker seines Talentes, der ihm den Anstoß gibt, Bildhauer anstatt Schreiner zu werden. Dafür ist er ihm immer noch dankbar,
denn bereits mit 14 Jahren wird ihm klar: „Ich werde Bildhauer“. Es folgen Lehrjahre bei einem klassischen Holzbildhauer in Gröden. Die Ausbildungszeit von 1978 bis 1984 prägt ihn besonders, da er an der Akademie der Bildenden Künste in München unter Professor Hans Ladner seinen persönlichen Stil entwickelt. Eine Schlüsselfigur dieser Zeit ist „Schreitender mit Hose“. Mit Begeisterung erzählt er uns, dass er eine seltene Gelegenheit nutzen konnte: Er kaufte sich die Holzskulptur zurück.

Seit knapp 20 Jahren ist die Handwerkskunst der Holzbildhauerei sein Auftrag. Sie ist Befriedigung einer Lebenssehnsucht und bereichert die Kunstlandschaft um mittlerweile 130 bis 140 Arbeiten. Mystisch, androgyn und zeitlos jung wirken diese Skulpturen. Verlässliche Informationen in Holz verewigt. Blättert man in den Katalogen des Künstlers, so sind es vor allem Skulpturen von Kindern und Jugendlichen. Manchmal stehen Kinder von Bekannten und Freunden Modell, früher waren es die eigenen.

Warum fehlen den Skulpturen die Verbrauchsspuren des Lebens? Die Gestik, die Mimik, die Lachfalten – all das macht doch einen Menschen aus, oder? Was ist überhaupt mit dem Altern des Menschen? „Mir ist wichtig“, erklärt er, „dass meine Kunst schön anzuschauen ist“. 

Es ist eine Sehnsucht, das Einzigartige und Schöne in einem Modell zu sehen, dies an die Oberfläche zu holen und es dann in Holz zu meißeln. Für die Ewigkeit. „Das gelingt besonders gut, wenn die Chemie zwischen Modell und Künstler stimmig ist“. Die Suche nach dem Unergründlichen treibe ihn immer wieder mit Lust und Freude in seine Werkstatt, erklärt er uns.

Nicht nur in Südtirol und im restlichen Italien schätzt ein breites Publikum seine Werke, sondern auch in Übersee und in China. Oder besser gerade in China! Denn die Büsten haben etwas Puppenhaftes. Ebenso wie die zeitlos schönen Frauen Asiens? Ein Aufblitzen in den Augen des Künstlers, wenn es um das Antlitz der asiatischen Frauen geht, ist unübersehbar. Es reizt ihn, diese geheimnisvolle Schönheit, die den Anschein ewiger Jugend hat, in Holz zu meißeln. Es ist also kein Zufall, dass über eine Ausstellung in und für China nachgedacht wird.

Die Fotografin Claudia, selbst studierte Künstlerin, wird nervös, als sie bemerkt, wie ich unbedacht den Arm der vor uns stehenden fast fertigen Holzbüste anfasse und neugierig tätschle. Später macht sie mich auf diesen Fauxpas aufmerksam, ich entschuldige mich daraufhin beim Künstler via E-Mail. Bruno antwortet gelassen. Er sieht es als Kompliment, wenn sich Betrachter seiner Kunst dazu stimuliert fühlen. Mir wird einmal mehr bewusst, dass uns hier der Zugang in die Herzkammer der Entstehungswelt einzigartiger Holzskulpturen gewährt wurde. Bruno Walpoths Schöpferkraft kreiert aussagekräftige und zugleich sinnliche Werke.

Einzigartiges entsteht, wenn das Besondere auf einen idealen Nährboden fällt. Tja, wie sucht man sich das aus? Sucht man sich das aus? Vielleicht wird man ausgesucht! Alle Wahrheit fügt sich zu einem guten Ganzen, lebt in der Verwirklichung; in der Verquickung des Sinnlichen mit dem Übersinnlichen.

 

(Das Interview wurde 2017 geführt und in der Kunst und Kulturzeitschrift Vissidarte 2018 veröffentlicht.)

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